Predigt Remmele

Predigt von Pfarrer Rainer Remmele zum Erntedankfest 1999 und
der Segnung des Vereinsstadels in Hirblingen am 3. Oktober 1999

Liebe Schwestern, liebe Brüder

Wenn jemand behauptet, die Hirblinger haben sich mit dem Vereinsstadel ein Denkmal gebaut ich würde Ihm …… glatt recht geben.
Eigentlich müsste dieses Gebäude mit dem heutigen Tag unter Denkmalschutz gestellt werden – nicht, ‘ damit man es nie mehr abreißen darf, sondern weil das, was hier als Gemeinschaftswerk geleistet wurde,
der jetzigen und den nachfolgenden Generationen zu denken geben müsste.
Was in diesem Dreivierteljahr geschehen ist, Ist unglaublich und müsste nicht nur in den Geschichtsbüchern des Dorfes Eingang finden.
Dieser Stadel ist Ausdruck einer Bürgerkultur, die ihresgleichen sucht. Dieser Stadel ist ein lebendiges Dokument einer Lebenseinstellung, die allen momentanen Trends entgegenläuft.
An drei Punkten möchte ich diese Behauptung kurz begründen

Erstens: Das tut’ s schon! Nimm’s doch nicht so genau! Für die tut’s das schon! Sei doch nicht so dumm, und streng dich an! Wer schaut denn da schon drauf? Das tut’s schon!
Ich leg’ meine Hand ins Feuer: Zu keiner Zeit, an keiner Stelle dieses Stadels, von niemandem, der auf dieser Baustelle tätig war, wurde mit so einer Einstellung gearbeitet.

Gerstern Vormittag brachte es jemand auf den Punkt: Jeder hat g’schafft, als wär’s für ihn daheim!

Das sieht man, und das spürt man! Bis ins unscheinbarste Detail hinein, wurde hier nicht nur etwas gemacht’! Es wurde von allen im besten Sinne- des Wortes ‘Handwerkskunst’ abgeliefert. Und darauf dürfen alle stolz sein!
Während man heute für sich das Beste herausnimmt und den Rest, der übrig bleibt, dem Allgemeinwohl ‘rüberschiebt, da wurde hier für die Allgemeinheit alles gegeben. jeder und jede gab sein/ gab ihr Bestes. Ganz gleich, ob als Handlanger oder als Fachkraft. Ganz gleich, ob es alle heute sehen oder ob es für die Allgemeinheit im Verborgenen ist.
Es wurde getüftelt, gegrübelt, überdacht, verworfen, neu konzipiert. Und erst, als wirklich keine bessere Lösung in Sicht war, mit höchstem handwerklichen Können umgesetzt, vom ersten Moment der Planung, bis zum letzten Augenblick der Fertigstellung.
Eine solche Arbeitseinstellung, eine solche Lebenseinstellung fordert heraus, regt zum Nachdenken an, stellt alle Gleichgültigkeit in den Schatten. Eine solche Arbeitseinstellung kann aber sehr leicht in Vergessenheit geraten, auch hier in Hirblingen.
Wie schnell kann man sich auf Lorbeeren ausruhen, im Glanz der Sonne bewundern lassen und Zug um Zug diese kostbare Tugend verlieren?
Deshalb muss der Stadel unter Denkmalschutz! Deshalb muss der Stadel für uns alle zum Mahnmal werden, zum Auftrag für alles Zukünftige, was wir anpacken.
Gebt auch ihr euer Bestes, arbeitet für die anderen, so wie für euch privat!
Legt euch für das Verborgene genauso ins Zeug, wie für das weithin Sichtbare!
Das tut’s schon, darf es nicht geben! Der Stadel ist unser Zeuge!

Ein Zweites:
Was mich in dieser langen und kurzen Geschichte des Vereinsstadels fasziniert, ist die Hartnäckigkeit.
Ich möchte sie am heutigen Tag auf den Thron der Tugenden heben.
Wohlverstanden:
Hartnäckigkeit hat nichts mit Sturheit und Starrsinn zu tun! Sturheit und Starrsinn machen blind, aggressiv, bringen nichts voran, lähmen, verhärten. Hartnäckigkeit hat etwas mit Geduld und Ausdauer zu tun, mit langem Atem, mit immer wieder neu, mit noch einmal von vorn. Hartnäckigkeit kostet unendlich viel Kraft und braucht Demut, nach unzähligen Rückschlägen, Immer wieder neu zu schauen, was geht, was könnte gehen, wie sollten wir’s anpacken, gibt es nicht doch eine andere Lösung, wenn so nicht, dann eben anders.
Hartnäckigkeit verlangt Flexibilität, Beweglichkeit.
Und: Hartnäckigkeit lebt vom großen Traum, von einem großen Ziel, von etwas Erstrebenswertem, allen Schwierigkeiten zum Trotz.
Hartnäckigkeit führt einen Jan Ulrich nach einer verkorksten Saison, nach der niemand mit ihm gerechnet hat, zum Sieg in Spanien.
Hartnäckigkeit führt Bischof Lehmann trotz des Wissens um die römische Arroganz, ein weiteres Mal zu Gesprächen in den Vatikan.
Hartnäckigkeit führte vor nun 10 Jahren die Bürgerinnen und Bürger im Osten unseres Landes über alle erdenklichen Umwege – Prag/Ungarn – in die Freiheit. Auch daran muss am -Tag der Deutschen Einheit’ erinnert werden.
Hartnäckigkeit ist aber, wie so viele Tugenden, heute nicht sehr beliebt: Alles, was einem nicht sofort in den Schoss fällt, alles, was Kraft kostet und Mühe macht, alles, was Ärger und Enttäuschung bringt, wird von den meisten Bürgerinnen und Bürgern gemieden , wie die Pest.
Scheinbar führt aber kein anderer Weg ans Ziel: ­nicht bei der notwendigen Reform unserer Kirche, nicht in Schule und Sport, nicht in Politik und Gesellschaft, nicht beim Bau eines für ein Dorf wichtiges Begegnungszentrum.
Unser Stadel, als Denkmal, könnte uns mahnen: ­Vergiss das nicht! Gib nicht so schnell nach!
Such’ nach neuen Möglichkeiten!
Wag’ einen neuen Anlauf! Mach’ neue Pläne! Schalt’ nicht auf stur! Aber bleib’ deinem großen Ziel treu! Wenn es ein wertvolles Ziel ist, dann wird es sich erfüllen. Wenn du aufgibst, dann ist das Ziel nichts wert.

Und ein Drittes:
Der Hirblinger Vereinsstadel ist ein Denkmal für all das, was man nur in Gemeinschaft erreicht.
Wir leben in einer Zeit, in der die Verantwortung hin und her geschoben wird:
Das sollen die jungen machen, wir Alten haben unseren Beitrag zur Gesellschaft schon geleistet! Und die Jungen sagen: Das sollen die Alten machen, die haben Zeit, wir stehen im Arbeitsstress! Die Bürger fordern: Das muss der Staat leisten! Das’ ist seine Aufgabe! Und der Staat sagt: Staat ist die Gemeinschaft der Einzelnen, also macht es gefälligst alleine! Das ist Aufgabe der Kirche! Das ist Aufgabe der Kommune!
Und so werden große und kleine Dinge, lebenswichtig und notwendig, hin und her geschoben und nichts passiert. jeder versucht sich möglichst elegant aus der Affäre zu ziehen, und keiner packt an.
Für mich ist der Hirblinger Vereinsstadel der neue und einzig zukunftsweisende Weg. Und wenn ich es richtig verstanden habe, ist das der viel beschworene 3. Weg, der in England scheinbar schon ganz gut funktioniert und in Deutschland kaum jemand bereit ist, ihn zu gehen. Letztendlich Ist es die Subsidiaritätslehre der Katholischen Kirche: jeder gibt, was er hat, jeder tut, was er kann, und jeder fordert von der höheren Stelle nur das, was er unter keinen Umständen leisten kann. Die Hirblinger haben gegeben, was sie konnten: an Geldspenden, an Tatkraft, an Arbeitsleistung, an Handwerkskunst. Und sie haben nur erbeten, was über Ihr Maß hinaus geht, von der Stadt einen Zuschuss, von der Kirche das Erbbaurecht.
Ich gestehe ein, dass ich in diesem Moment schon auch ein wenig stolz auf die Kirche bin, weil sie sich auch nicht mit dem Fingerzeig auf die Stadt aus der Affäre gezogen hat. Und wenn ich den kirchlichen Verzicht auf den Erbpacht von jährlich lo.ooo DM hochrechne, dann kann sich diese finanzielle Spritze durchaus sehen lassen.
Kurz und gut. Niemand wollte sich schadlos hatten. Alle gaben ihr Bestes! Und das ist, denke ich, der einzige Weg, der aus dem großen Problem unserer Zeit herausführt.
Mehr Arbeitsplätze schaffe ich nicht mit der Senkung des Spitzensteuersatzes auf 35 %, sondern mit der Herzenseinstellung. Vermögen verpflichtet, wer hat, der kann auch geben.
Aus der Rentenkrise komme ich nicht heraus, indem sich jeder selbst versichert, sondern indem alle ihre Verantwortung für das Gemeinwohl entdecken.

Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Die Hirblinger haben sich ein Denkmal gesetzt!
Gott sei Dank, haben sich die Hirblinger ein Denkmal gesetzt!
Hoffentlich denken viele möglichst oft über den Stadel und seine Hintergründe zum Wohle unseres Dorfes und zum Wohle unserer Gesellschaft nach!

AMEN.